Ich stehe im Badezimmer und trete näher an den Spiegel heran, um meine Haut zu untersuchen. Zwischen Gesichtscreme und dem Zupfen meiner Augenbrauen schwirrt sie zu mir ins Bad. Wiehernd lässt sie ihr Spielzeug-Pferd durch die Lüfte traben.
Gehst du gleich arbeiten?
fragt sie mich und schaut plötzlich von unten zu mir hoch.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie mich beobachtet. Ich nicke und zupfe weiter. Sie stellt sich auf den Hocker neben mich, schaut ihrem eigenen Spiegelbild genau in die Augen und lächelt sich an. Ich lächle das Mädchen im Spiegel ebenfalls an. Unsere Blicke treffen sich.
Schade für dich, dass du keinen Babykurs und keine Waldgruppe mehr hast.
sagt sie behutsam und lehnt ihren Kopf an meine Schulter.
Dieses tiefehrliche Mitgefühl raubt mir den Atem. Eine hundertstel Sekunde schießen mir dutzende Bilder in den Kopf:
Wie ich stundenlang mit meinem Mann die Decke im Kursraum in einen pastellfarbenen Regenbogen verwandelt habe und mich direkt Zuhause gefühlt habe. Wie zum ersten Mal ein Kurs in diesem kleinen Räumchen stattgefunden hatte und auch alle anderen sich wohlgefühlt haben. Das Lachen, die vertrauten Gespräche zwischen den Müttern und die entspannenden Minuten mit den Kindern beim Kinderyoga. Das alles hat bald ein Ende. Traurigkeit steigt in mir auf.
Und dann schießen mir die Bilder von den Abenteuern mit der Waldgruppe in den Kopf, diese Ausgelassenheit zwischen den Eltern und den Kindern. Die wissbegierigen Blicke der kleinen Knöpfe, die hungrig darauf warteten, dass wir gemeinsam die Welt entdecken. Immer mit dabei, meine eigenen Kinder und mein Mann, der sich jeden Mittwoch Zeit genommen hatte, um dabei zu sein.
Die lustigen Minuten nach dem Kinderyoga, wenn Lotte und ich den Raum wieder aufräumten und die Musik laut aufdrehten und tanzten. Dankbarkeit stieg in mir auf.
Und noch bevor meine Mundwinkel vom Bedauern nach unten gezogen werden, lächele ich Lottes Spiegelbild an und sage:
Ja, ich finde es auch schade. Aber weißt du was? Es hat mir unheimlich viel Freude gemacht, besonders, weil ich das so oft mit euch teilen konnte. Ich bin so dankbar, dass ich das ausprobieren durfte. Und jetzt freue ich mich schon total darauf, was wir zusammen als Nächstes erleben werden. Denn immer wenn etwas zu Ende geht, beginnt wieder etwas Neues.
Wir drücken uns fest und ich gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann schnappt sie sich ihr Pferd und wirbelt galoppierend aus dem Bad.
aneinander Wachsen
Dieser Moment war mal wieder voll von Mama-Magie: durch den Kontakt zu eines meiner Kinder konnte ich über mich hinaus wachsen. Anstatt meine Lage zu bedauern, habe ich es geschafft meinen Blick darauf zu lenken, was ich (und meine Familie) dadurch gewonnen haben. Und damit habe ich mir nicht nur selbst Zuversicht gegeben, sondern auch meiner Tochter zeigen können, dass wir aus Fehlern, aus dem Scheitern und einem Abschluss lernen können. Wir können dankbar sein, oder bedauern. Das Letztere führt jedoch dazu, dass wir schlecht mit dem Erlebnis abschließen können und nur negative Gedanken damit verbinden.
Ich glaube, dass wenn wir uns aus unserer Komfortzone heraus bewegen, auch wenn es auch unheimlich viel Mut und Selbstbewusstsein kostet und letztendlich doch scheitern und damit dann reflektiert umgehen können, dann können wir unseren Kindern ein tolles Vorbild sein, wie man mit dem Scheitern umgehen kann.

Fehler und Selbstbewusstsein
In meiner Vergangenheit hätte ich mir oft gewünscht, dass ich dieses Selbstbewusstsein gehabt hätte. Fehler nicht als Versagen, sondern als Erfahrung und Lernmittel zu nutzen.
Versteh mich nicht falsch, ich durfte als Kind Fehler machen. Kam ich mit einer 5 nach Hause, nahm meine Mutter mich in den Arm und sagte nicht nur einmal: „Das tut mir leid für dich, du hast dich so angestrengt. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal.“ und dafür bin ich auch heute noch sehr dankbar. Ich hatte nie Angst davor Fehler zu machen, aber trotzdem hat es sich immer schlecht angefühlt. Es gab mir immer das Gefühl nicht genug zu sein. Gerade WEIL ich mich angestrengt hatte.
Eine Fehlerkultur in die Familie einführen
Für den Umgang mit meinen Kindern zeigt es mir allerdings auch, wie wichtig es ist eine Fehlerkultur in der Familie einzuführen. Dabei lernen Kinder natürlich besonders gut davon, wie wir mit unserem eigenen Scheitern umgehen. Können wir als Eltern Fehler einsehen? Können wir uns entschuldigen und Wiedergutmachung leisten, wenn wir vielleicht einmal zu aufbrausend reagiert haben? Und zeigen wir unseren Kindern, dass wir aus dieser Erfahrung etwas gelernt haben?
Kinder schauen sich mit großen Augen viel von uns ab. Lernen am Modell nennt sich das und ich glaube das kennst du genauso wie ich, wenn wir mit einem Mal damit konfrontiert werden, dass unser Kind flucht und dafür das gleiche Wort nutzt, das wir letzte Woche benutzt haben, als uns der Topfdeckel auf den Fuß gefallen ist.
Das ist natürlich nicht die schönste Art unseren Kindern etwas beizubringen, denn damit halten sie uns immer wieder den Spiegel vors Gesicht.
Es ist aber auch eine wunderbare Möglichkeit unseren Kindern völlig natürlich und echt zu zeigen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen können.
Kann ich mich als Elternteil gut bei meinem Kind entschuldigen, fällt es meinem Kind sicher auch viel leichter sich bei mir oder auch bei anderen zu Entschuldigen. Aber das reicht natürlich nicht immer. Denn Fehler nur zu bedauern, bringt niemanden weiter. Das drückt höchstens irgendwann auf das Selbstwertgefühl.
Aus Fehlern lernen
Vielleicht reicht es nicht, wenn wir unsere Kinder ganz mitfühlend trösten und versuchen aufzuheitern. Vielleicht sollten wir es zusätzlich mit Zuversicht und Dankbarkeit versuchen. Den Blick von dem Schlechten auf das Gute an der Situationen zu geben. Psychologen nennen das übrigens Reframing, also dem Bild einen anderen Rahmen geben. Das ist sicherlich nicht immer leicht, gerade weil wir von Kleinauf darauf gepolt sind, immer das Schlechte an uns zu entdecken und uns selbst zu kritisieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt dabei ist es Fehler als das zu nehmen was sie sind: verbesserungswürdige Erfahrungen. Wenn wir unseren Kindern also beibringen wollen, dass Fehler nicht nur okay, sondern auch lehrreich sind, dann kann es helfen die Fehler gemeinsam zu analysieren: Was meinst du, warum es schief gelaufen ist? Was brauchst du, damit es beim nächsten Mal noch ein bisschen besser klappt? Ich glaube dass Kinder schon sehr gut wissen können, was sie brauchen, damit sie (mehr) Erfolg bei etwas haben und sie haben oft sehr tolle Ideen, was ihnen helfen könnte.
Und indem sie das selbst benennen können, fällt es ihnen auch weniger schwer es durchzuziehen. Weil sie selbst verstanden haben, dass es wichtig ist.
Hat dein Kind also mal eine schlechte Note in einer Klassenarbeit geschrieben, kannst du sicherlich sagen: „Oh wie schade für dich! Dann musst du beim nächsten Mal mehr lernen!“ aber mehr als ein Augenrollen und ein schlechtes Gefühl in der Bauchgegend wird sich da in deinem Kind sicher nicht regen.
Also probiere es doch beim nächsten Mal so aus:
Es tut mir leid für dich, dass es nicht geklappt hat (Mitgefühl zeigen). Ich habe gesehen, wie sehr du dich angestrengt hast (Anerkennung geben). Aber es war auch hilfreich dass es passiert ist, denn jetzt weißt du, was du noch verbessern kannst (positiver Blick). Was muss geschehen, damit es beim nächsten Mal besser klappt (Lösung suchen)? Wie wirst du dich fühlen, wenn du beim nächsten Mal eine 3 anstatt einer 5 geschrieben hast (Ziel verbildlichen)?
Ich muss wirklich sagen, dass mich diese Erfahrung noch einmal nachhaltig beeindruckt hat. Dieses kleine Mädchen hat mich mal wieder daran erinnert, wie wichtig der richtige Umgang mit solchen Situationen sein kann und wie erleichternd es sein kann, sich selbst Zuversicht zu geben.
2 comments
Wunderbare Anregung. Vielen Dank!
Lieben Dank und schöne Grüße an dich,
Sarah