Vor ein paar Tagen schrieb mir eine frischgebackene Mama. Ihr Baby ist 6 Wochen alt. Es schreit sich jeden Abend die Seele aus dem Leib. Und die Eltern leiden. Sie leiden mit ihrem Kind. Sie leiden unter dem Lärm. Sie leiden unter dem fehlenden Schlaf. Du kennst das wahrscheinlich, genauso, wie ich das auch kenne. Diese Mama wollte einen Rat von mir. Sie wollte wissen, wie ich mein Baby beruhige. Sie wollte wissen, ob sie etwas anders machen kann. Ja vielleicht dachte sie sogar, dass sie etwas falsch macht. Die Antwort die ich ihr gab, bekam ich auch damals von einer anderen Mama. Es ist jedoch genau die Antwort, die wir in solchen Situationen gar nicht hören wollen.
Als Lotte ein Baby war gingen wir gemeinsam durch schwierige Zeiten. Nächte, in denen sie vor Bauchschmerzen nicht schlafen konnte. Und wir auch nicht.
Tage, an denen ich sie nicht ablegen konnte, ohne dass sie wieder aufwachte und weinte. Nächte, in denen sie Fieber von den Zahnungsschmerzen hatte. In der wir ihre kleine Hand hielten und uns sorgten.
Tage an denen sie nur stillen wollte, ohne Unterbrechung. Tage an denen ich weinte, weil ich das Gefühl hatte, nicht mehr ich selbst sein zu können. Und Nächte, in denen ich mir den Kopf nach einer Lösung für unsere Probleme zerbrach.
Irgendwas muss doch helfen, dachte ich immer wieder. Ich durchforstete das Netz nach Lösungen. Leider gab es davon etliche. Frag 250 Mamas nach einer Lösung gegen Bauchweh beim Baby und du bekommst 251 Lösungen, die helfen sollen.
Und so probierten wir alles aus, hangelten uns an jeden Strohhalm, auf der Suche nach dem Patentrezept.
Nach DER einen Lösung, die gegen das Zahnweh hilft. Die hilft, damit das Baby durch schläft. Die Lösung, die macht, dass das Kleinkind nicht haut, beißt oder bei jeder Kleinigkeit einen Wutanfall bekommt. Und dabei liegt die Antwort eigentlich auf der Hand. Aber wir ignorieren sie, weil wir nichts mit ihr anfangen können.
In der Schule wird uns von Anfang an beigebracht, wie wir mit Problemen umgehen müssen. Wir müssen das Problem analysieren, nach dem Wieso fragen. Und wenn wir die Ursache gefunden haben, dann müssen wir nach Fahrplan A verfahren, um dieses Problem zu lösen. In der Schule eignen wir uns eine problemorientierte Haltung an.
Wir schauen auf die Defizite, die uns von unserem Ergebnis fernhalten und suchen dann nach einer Lösung. Wir lösen in der Mathematik die Unbekannte auf, um die Gleichung zu lösen.
Und so rennen wir später mit unseren Kindern von der einen Instanz zur Nächsten, befragen 368 verschiedene Mütter und lesen abertausende Artikel im Internet, um das Problem mit unseren Kindern zu lösen. Und das Ausprobieren kostet Kraft. Kraft und Nerven. Jeder Fehlschlag bedeutet eine Enttäuschung. Bei Ute und Ella hat das doch auch funktioniert, warum denn bei uns nicht?
Es ist eine Phase, es ist nur eine Phase. Das war mein Mantra im ersten Lebensjahr meines ersten Kindes. Gebetsmühlenartig habe ich mir diese Zeilen immer wieder eingeredet. Aber sie haben mich frustriert. Aushalten, wer mag das schon? Das hat man nicht in der Hand, das kann man nicht beeinflussen. Wir müssen dieses Problem doch irgendwie lösen.
Zeigt mir mal eine/n Mathe-Lehrer/in die sagt: „Du kennst die Lösung nicht? Dann setz dich hin und warte. Du musst es aushalten!“. Schwupps, da wäre die Unterrichtsstunde vorbei und du musst dich mit dem Problem nicht weiter befassen. Eine Lösung hast du aber trotzdem nicht gefunden.
Leider sagt einem niemand, dass Kinder so nicht funktionieren. Kinder durchleben tagtäglich einen Prozess. Wir alle tun das. Wir wachsen und wir entwickeln uns.
Jetzt, bei meinem zweiten Kind, da bin ich gelassener. Das liest man immer, überall, gerade wenn man frischgebackene Mama ist. Aber es stimmt. Das, was dich gelassener macht als Zweifach-Mama, ist, dass du weißt, dass wirklich alles eine Phase ist. Du musst es dir nicht einreden, weil du es bereits einmal durchlebt hast. Du weißt, dass die Bauchschmerzen vergehen und dass irgendwann alle Zähnchen durchgekommen sind.
Das Patentrezept nach dem du suchst ist die Zeit!
Wenn wir es erst einmal schaffen unseren Problemlösungsansatz, den wir in der Schule gelernt haben, abzulegen und mit den Kindern prozessorientiert umgehen, dann stellt sich irgendwann eine Gelassenheit ein, an die Probleme heranzugehen. Dein Kind durchlebt einen Prozess, eine Entwicklung und du parallel dazu ebenfalls. Natürlich sollst du nach den Ursachen forschen und hast die Pflicht, gesundheitliche Probleme immer auszuschließen.
Und natürlich hilft es ungemein, dem Baby im Fliegergriff das Bauchweh zu erleichtern. Und es ist gut zu wissen, wie ich angemessen auf einen Wutanfall bei meinem Kind reagieren kann. Aber nur die Zeit wird es irgendwann einrichten, dass du dich nicht weiter mit diesem Problem auseinandersetzen musst.
Ich selbst muss mir das auch immer wieder sagen. Und in Momenten, in denen die Große eifersüchtig auf das Baby ist und sie immer wieder ärgert oder ihr weh tut, da fällt es auch mir heute noch schwer, diese eine Lösung, als Patentrezept anzunehmen. Aushalten. Begleiten. Abwarten. Unterstützen.
Es ist nicht einfach diese Haltung anzunehmen, aber auch wir müssen uns den Prozess zugestehen, diese Entwicklung durchzumachen.
Alles ist eine Phase. Und diese Phase, wird von einer anderen abgelöst. Die Lösung des Problems besteht darin, abzuwarten.
Ich wünsche uns allen viel Kraft, um genau das anzunehmen und irgendwann zu verinnerlichen.
2 comments
So wahr! Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch weil Baby schonmal schläft und mein Mann die Große beschäftigt. Endlich mal eine kleine Pause für mich. Hätte nicht gedacht das 2 Kinder zu haben so nervenaufreibend ist. Bei uns ist alles i.O. allerdings ist man nur am reagieren statt zu agieren. Eigentlich macht man nix und ist am Ende des Tages mal wieder fix und fertig. Da hab ich überhaupt keine Zeit mehr über die Zähnchen nachzudenken. Wenn Sie quängelt muss ich ran und sie wieder in den Schalf stillen, so einfach ist das ja eigentlich. 🙂
Vielen lieben Dank für die schönen Worte in meiner „Kinderpause“
Angi
Super!!! Endlich mal jemand, der die Wahrheit sagt … Ich mag es nicht, wie oft man in allen möglichen Ratgebern und auf Blogs liest, wie man jegliche Situationen in den Griff kriegt. Ich glaube auch nicht an Patentrezepte in der Kinderziehung. Kinder sind Individuen und es gibt keine Lösung bei z. B. Trotzanfällen, die immer und bei jedem Kind funktioniert.
Aber es stimmt, begleiten und annehmen, bis die Phase vorüber ist. Denn jede schwierige Phase ist irgendwann vorbei, meist schneller, als man es sich vorstellen kann.
Herzliche Grüße
Shani
http://www.greenmom.eu